Zum Ausdruck «Bildekräfte»
Ansichten und Kontroversen
Materialien
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[Archivalie – Januar 2016]
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↩︎ Einzelblatt aus dem Nachlass von Friedrich O. Keller [© AA]
Paul Eugen Schiller: Gibt es ätherische Bildekräfte?
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Diese Frage taucht in zweifacher Gestalt auf. Der exakte, oft skeptische Naturforscher stellt sie, nachdem er von den ätherischen Bildekräften gehört hat, so: Wo ist der exakte Beweis für die Existenz der ätherischen Bildekräfte? Der mehr wohlwollend Gesinnte versucht sie sich durch Sammeln von Phänomenen zu beantworten, wobei er solche Naturerscheinungen bevorzugt, deren «Erklärung» bis jetzt noch nicht möglich war. Beiden Auffassungen liegt die Anschauung zugrunde, die ätherischen Bildekräfte hätten seither ein unbekanntes, etwas zartes Dasein gefristet, und es gelte jetzt, sie zu entdecken und den seither bekannten Kräften an die Seite zu stellen.
Diese Anschauungen sind beide unrichtig, es handelt sich bei den ätherischen Bildekräften nicht etwa nur um die Auffindung von neuen, noch unentdeckten Kräften, sondern um eine neue wesensgemässe Erfassung der ganzen, auch schon bekannten Kräftewelt überhaupt. Wir Menschen nehmen durch unsere Sinne die Welt der Erscheinungen wahr, und unser Erkenntnisstreben versucht, über diese Erscheinungswelt hinaus vorzudringen in die Welt der Kräfte, in die Welt der Naturgeister, deren Offenbarung die Sinnenwelt ist.
Diesen Schritt von der bekannten, nicht anzuzweifelnden Sinneswahrnehmung zu der unbekannten Welt der Kräfte kann man auf die verschiedenartigste Weise vollziehen. Eine Forschungsrichtung kann bestrebt sein, das Gemeinsame an all den mannigfaltigen Naturerscheinungen aufzusuchen und in ihren Begriffen festzuhalten. Sie wird starke Abstraktionen ausbilden müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Eine zweite Möglichkeit ist zum Beispiel das Bestreben, nicht zu verallgemeinern, sondern Vorstellungen und Begriffe über diese Kräftewelt ganz mannigfaltig auszubilden und jede Verschiedenheit der Erscheinungen dabei zu berücksichtigen. Es sind noch weitere Möglichkeiten gegeben als diese beiden, denn das Denken des Menschen hat die Freiheit, von irgend einem selbstgewählten Ausgangspunkt an die Natur heranzutreten und ein Erkenntnissystem aufzubauen.
Im Folgenden seien zwei dieser Möglichkeiten näher ausgeführt: Die in der heutigen Naturwissenschaft geübte und diejenige, die zu der Auffassung der ätherischen Bildekräfte führt. Die erkenntnistheoretische Kritik beziehungsweise Begründung dieser beiden Methoden kann selbstverständlich hier nicht durchgeführt werden, das würde viel Raum in Anspruch nehmen. Zudem ist sie in völlig erschöpfender Weise von Rudolf Steiner in seinen erkenntnistheoretischen Schriften dargestellt worden. Wie oben schon erwähnt und wie auch jedem normalen Menschen bekannt, sind wir von der grössten Mannigfaltigkeit in der Natur umgeben. Am Himmel wechseln ab die Sterne, die Planeten, die Sonne. Auf der Erde tritt unseren Sinnen das Reich der Tiere, der Pflanzen und der Mineralien entgegen. Jedes dieser Gebiete ist in sich aufs allerweiteste gegliedert und differenziert. Die Vielfältigkeit der Natur, die sich uns darbietet, ist durch nichts zu übertreffen. Diese Mannigfaltigkeit ist nun die Offenbarung einer Welt schaffender Geister, oder anders ausgedrückt: in der Erhaltung und Verwandlung dieser Erscheinungswelt sehen wir eine Welt der Kräfte wirksam.
Bibliographie zu Paul Eugen Schiller
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Bücher
- Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft (Anthroposophie), Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, Dornach 1957
- Vom Wesen der Wärme, Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, Dornach 1961
- Der anthroposophische Schulungsweg – Ein Überblick, Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, 1. Aufl. Dornach 1979
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Aufsätze
- Musik und die Lehre vom Schall, in: Das Goetheanum, 9. Jg., Nr. 8 (23. Feb. 1930), S. 59–61
- Die empfindliche Flamme als Analysator, in: Naturwissenschaften, 18 (1930), S. 352–354
- Gibt es ätherische Bildekräfte?, in: Das Goetheanum, 10. Jg., Nr. 36 (6. Sept. 1931), S. 282–284 →
- Gerät zur Untersuchung und Demonstration von Schwingungsfiguren auf Membranen, in: Zeitschrift für technische Physik, 15. Jg., Nr. 8 (1934), S. 294–296
- Die Chladnischen Klangfiguren, in: Das Goetheanum, 14. Jg., Nr. 11 (17. März 1935), S. 84–87
- Die Anwendung geisteswissenschaftlicher Forschungsergebnisse in der Naturwissenschaft, in: Das Goetheanum, 15. Jg., Nr. 34 (23. Aug. 1936), S. 266–269
- Paul Eugen Schiller und Heinz Castelliz: Untersuchungen an neuen Schalldüsen, in: Akustische Zeitschrift, Bd. 2 (Jan. 1937), S. 11–17
- Stroboskop für aperiodische Vorgänge, in: Zeitschrift für technische Physik, 18. Jg., Nr. 10 (1937), S. 332–336
- Untersuchungen an der freien, schallempfindlichen Flamme, in: Akustische Zeitschrift, 3. Jg., Nr. 1 (Jan. 1938), S. 36–45 [PDF]
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Ausserdem (Auswahl)
- Paul Eugen Schiller (Erf.): Superstroboskop (Herst. Kern, Aarau), 20 S. [PDF]
- Schweizer Pat. Nr. 176’985 (1935)
- In: Technische Rundschau, Nr. 30 (1938)
- In: Journal Suisse d’Horlogerie, Nr. 9/10 (1946)
Welche Anschauungen haben wir nun über diese Welt der Kräfte?
Prof. A. Winkelmann schreibt im «Handbuch der Physik» 1908«Man stellt sich mit Vorliebe alle Geschehnisse als Wirkungen vor und stellt ihnen gewisse Ursachen gegenüber, diese Ursachen nennt man dann Kräfte … Die physikalischen Kräfte sind sozusagen Erfindungen, die man macht, um das einem innewohnenden Kausalitätsbedürfnis zu befriedigen, um die Naturerscheinungen, wie man sagt, zu erklären.» Kurz danach wird dann die Einheit dieser Kraft definiert. Man könnte hier also noch glauben, dass die Anschauung verschiedener Qualitäten in der Welt der Kräfte noch möglich ist, allerdings ist dann für diese Verschiedenheiten als Mass ein einziges gegeben und definiert. Die neuere Entwicklung geht aber wesentlich weiter: Prof. G. Vallauri sagt in einem Vortrag: Es ist eine Tatsache, «dass das Wesen der Energie unabhängig von der verschiedenartigen Natur der Phänomene ist, an welche sie bei ihrem einzelnen Auftreten gebunden scheint. So sprechen wir von thermischer, akustischer, elektrischer, magnetischer und strahlender Energie und an derer mehr, aber vergessen wir nicht, dass es sich immer um Grössen handelt, die untereinander homogen, und zwar alle mit ein und demselben Mass messbar sind.» Im Gebiete der exakten Naturwissenschaften haben wir also für die grosse Fülle der Kräftewelt nur einen einzigen Begriff. Man bildet die Anschauung aus, eine einzige Kraft oder Energie liege all den verschiedenen Naturphänomenen zugrunde, ihre Verschiedenheiten seien nur in deren quantitativen Verhältnissen begründet. Selbstverständlich gibt es über diesen Grundbegriff weitgehende Meinungsverschiedenheiten, die Auffassung der Quantentheorie steht unversöhnlich der elektromagnetischen Lichttheorie gegenüber, andere Auffassungen wieder diesen beiden usw. Für alle gilt aber gleichermassen das Bestreben, eine einheitliche Energie, eine Kräftequalität der ganzen Naturmannigfaltigkeit zugrunde zu legen.
Eine ganz andere Auffassung führt zu der Annahme der ätherischen Bildekräfte. (Was im folgenden gesagt wird, gilt für den Forscher, der sich noch nicht der Möglichkeit der übersinnlichen Beobachtung der Kräftewelt bedient, von diesem ist am Schluss die Rede.) Der Forscher sieht sich ausserstande, der Natur gerecht zu werden, wenn er allen ihren Offenbarungen nur eine einzige Kräfte- oder Energiequalität zugrunde legt. Er muss die Phänomene der Natur nebeneinanderstellen und sich aus ihnen heraus die Kräftewelt charakterisieren lassen. So kommt er zu einer ganzen Fülle von Kräftequalitäten. Eine ausserordentlich differenzierte Kräftewelt ist das Ergebnis seines Strebens.
Einige Beispiele sollen das verdeutlichen: Der fallende Stein und das brennende Streichholz. Unserer heutigen Naturerkenntnis gemäss liegt ja beiden dieselbe Energie zugrunde. Lassen wir uns durch die Phänomene eine Charakteristik der Kräftewelt geben: Das Phänomen des fallenden Steines, total angeschaut, zeigt, dass es ein Zurückkehren zum ursprünglichen Zustand ist; der Stein muss erst hoch gehoben werden oder der Erde entfremdet, dann kann er fallen, das heisst, wieder zurückkehren zur ursprünglichen Lage. Die Geste aller fallenden Körper um die ganze Erde herum ist ein Sichzusammenziehen, ein Verharrenwollen in der Kugelgestalt der Erde. Es gibt aber noch andere Phänomene dieser Kräftewirksamkeit, die sich im fallenden Steine offenbart! Welche zeigt zum Beispiel die Pflanzenwelt? Halten wir zusammen eine Schlingpflanze und eine Tanne. Die Tanne vollzieht ihr Wachstum in dauerndem Kampfe mit dieser Schwere. Wenn sie ihren Gipfel hoch hinauftragen will, muss ihre Substanz, ihre Gestalt so beschaffen sein, dass sie sich behaupten kann der Schwere gegenüber. Sie stellt sich sowohl in der Gesamtform, als auch in der des Stammes wie ein Dreieck mit der Basis auf den Boden und wächst mit der Spitze zum Himmel, sie ist der klügste und auch der kühlste Baum. Die Schlingpflanze überlässt die Auseinandersetzung mit der Schwere hauptsächlich dem Baum, an dem sie sich emporrankt, sie trägt sich nicht selbst. Dem zufolge windet und krümmt sie sich in erdenfreien Kurven in die Luft, sie ist beweglicher, rascher, wuchernder.
Auch die Tierwelt zeigt eine Fülle von Phänomenen, in denen die Schwere sich offenbart: Wie wenig hat der Vogel mit ihr zu tun, wie sehr ist die Kuh damit verknüpft! Es lässt sich die ganze Tierwelt nach ihrer Auseinandersetzung mit der Schwere gruppieren, ausgenommen der Fisch, der sie gar nicht kennt. Vergegenwärtigen wir uns, welche Gegenkräfte zum Beispiel die Kuh dauernd entfalten muss, um ihren Kopf frei nach vorne zu halten, und wie weise die Stellung des Menschen ist, der ihn als Kugel senkrecht oben auf seinem Körper trägt. Wir sind durchaus berechtigt, dieses Phänomen mit der dumpfen Unbewusstheit des Tieres und der Bewusstheit des Menschen zusammen als Charakteristik der Schwere anzuwenden. Noch deutlicher wird dies beim Menschen selbst. Unsere Gliedmassen sind ganz in ihrer Richtung in die Schwere eingegliedert. In ihnen sind wir unbewusst, Bewusstheit entfalten wir in unserem Haupte, ganz besonders in dem Instrument des Denkens, dem Gehirn. Rudolf Steiner hat immer wieder darauf hingewiesen, dass das Gehirn diese Fähigkeit nur deshalb hat, weil es in der Gehirnflüssigkeit schwimmt und so der Schwere zu seinem weitaus grössten Teile entzogen ist.
Diese nur kurze und lückenhafte Charakteristik der Schwere lässt sie uns als eine Qualität erscheinen, die eine einzige Bewegungsmöglichkeit hat, hin zur Erde, und deren Wirkungen erdenverbindend, Bewusstlosigkeit erzeugend, verhärtend und unlebendig sind.
Anders das brennende Streichholz, an dem wir die Wärme charakterisieren wollen. Die Totalität dieses Phänomens ist schwerer zu erfassen als beim fallenden Stein. Wir müssen zurückgehen in langvergangene Zeiten, in denen die Grundlage des Verbrennungsprozesses, das Holz, entstanden ist und uns die Schöpfertat vergegenwärtigen, die zur Entstehung des Holzes geführt hat. Diese Tat machte den Verbrennungsprozess erst möglich. – Welche Bewegungsrichtung tritt uns nun im Feuer entgegen? Eigentlich keine Richtung, sondern eine räumliche Tendenz, und zwar eine ausdehnende. Immer verknüpft mit Wärme ist dies Bestreben auseinanderzugehen, sich zu vergrössern. Und die anderen Eigenschaften der Wärme? Eine feste Substanz wird flüssig und zuletzt dampfförmig, wenn wir sie erhitzen. Sie durchläuft also unter dem Einfluss der Wärme einmal die schon angeführte Entwicklung der Raumvergrösserung, aber auch die der Entindividualisierung. Der feste Stoff hat Gestalt, er hat sogar seine individuelle Kristallform, er hat seine Härte, seine Festigkeit seine Elastizität. Im Flüssigen verliert er viele dieser Eigenschaften, seine Form hat er mit allem Wässerigen gemeinsam, nur kleine Unterschiede in Härte, Zähigkeit und Oberflächenspannung kann er andern gegenüber aufweisen, und im gasförmigen Zustand sind seine individuellen Eigenschaften noch geringer an Zahl und Ausmass.
Auch das Tierreich bietet eine Fülle von Phänomenen. Ordnen wir die Tiere nach ihrer Körperwärme, um daran etwas abzulesen, dann sind die Vögel die wärmsten Tiere. Es folgen die auf der Erde sich bewegenden, und die kältesten sind in der Erde, beziehungsweise im Wasser zu Hause. Selbstverständlich ist diese Reihe vielfach durchbrochen, zum Beispiel durch die Insekten, aber diese Ausnahmen sind durchaus sinnvoll, wenn Mission und Wesen dieser Tiere berücksichtigt werden. Zudem sind es Tiere, die sehr an die Erdoberfläche gebunden sind; sie erreichen höchstens eine Höhe von 50 bis 100 Meter über derselben. Auch Charaktereigenschaften der Menschen dürfen wir hier anführen. Ein Hitzkopf eignet sich sicher nicht zur Durchführung einer ruhigen, bewussten Arbeit, und ein kalter Mensch ist auch nicht der geeignetste, um andere zu freudigen Willenstaten anzufeuern.
Auch diese, hier skizzenhaft angeführte Phänomenenreihe erlaubt eine Charakteristik der Wärme als Wirksamkeit in der Kräftewelt. Wir haben eine Qualität vor uns, deren Heimat ausserhalb der festen Erde ist, ihre ganze Bewegungstendenz ist ausbreitend. Wirkt sie auf Stoffliches, so verwandelt sie dasselbe tiefgreifend (was die Schwere z. B. überhaupt nicht tut). Ihre Intensität bestimmt den Zustand der Lebewesen und ähnliches mehr.
Schon diese beiden kurzen Charakterisierungen, die weniger ihrem Inhalte, als ihrer Tendenz nach hier angeführt sind, zeigen deutlich zwei verschiedene Kräftequalitäten. So fortschreitend, durch die ganze Natur hindurch, erringen wir uns eine Fülle qualitativ verschiedener Begriffe der Kräftewelt. Und so wie uns eine mannigfaltige Sinneswelt umgibt, umgibt uns dann eine ausserordentlich differenzierte Welt der Kräfte.
Wie schon oben angeführt, ist es hier nicht möglich, erkenntnistheoretisch exakt zu zeigen, dass auch eine solche Charakteristik zu genauen, wissenschaftlichen Be griffen führen kann. Es muss hier der Hinweis auf die Werke Rudolf Steiners genügen.
Die ausserordentliche Differenziertheit der Kräftewelt lässt sich nun innerlich gliedern und zusammenfassen. Man kommt dann sinngemäss zu vier Gruppen, den vier ätherischen Bildekräften: Wärmeäther, Lichtäther, Chemischer Äther und Lebensäther, die von Dr. G. [Gunther] Wachsmuth in seinem Buche «Die ätherischen Bildekräfte in Kosmos, Erde und Mensch» umfassend geschildert worden sind. Dazu fügen sich noch, wie Dr. G. Wachsmuth ebenfalls schildert, Elektrizität und Magnetismus [und eine sog. «Dritte Kraft»] hinzu. Weiter zeigt sich, dass alle diese Kräfte uns in zwei Möglichkeiten entgegentreten können: als freie Kräfte und als gebundene, substanzverhaftete Kräfte. Auch dies kann nicht ausgeführt werden, im oben genannten Buch liegt eine ausführliche Schilderung vor.
Nur auf eines soll noch hingewiesen werden. Im Reich des Mineralischen treten uns diese Kräftequalitäten vereinzelt entgegen. Im Pflanzenreich ist dies anders. Dort treten dem Beobachter an einer bestimmten Pflanzengattung eine Reihe von Kräften in einer der betreffenden Gattung eigenen Gruppierung entgegen, man muss dort von einem Kräfteleib sprechen. Dieser Kräfteleib ist aber nicht nur eine Summe von Einzelkräften. Durch das Zusammenwirken einer Reihe von Kräftequalitäten entsteht ein Höheres, ein Organismus. Diese Tatsache berechtigt den Ausdruck Kräfteleib. Ähnlich im Tierreich, wo auch je nach der Gattung der Tiere eine individuelle Gruppierung der Kräfte vorliegt, auch hier sprechen wir von einem Äther- oder Kräfteleib. Beobachtet man den menschlichen Organismus, so gibt es bei ihm nicht eine gattungsmässige Gruppierung dieses Ätherleibes, sondern es hat jeder seinen eigenen, ihm zugehörigen Ätherleib. Jede Menschenindividualität hat seine Kräftegruppierung, seinen Kräfteleib tätig im Aufbau und in der Erhaltung seines physischen Körpers.
So erringen wir uns auf Grund einer richtigen Phänomenologie Begriffe über die Welt der Kräfte, die in sich qualitative Unterschiede zeigen, die sich andererseits auch zusammengefasst als Kräfteorganismen darstellen. Dem steht gegenüber die Anschauung der heutigen Naturwissenschaft, die glaubt, mit einem einzigen Energiebegriff die Fülle der Natur erkennen zu können.
Auf unsere Anfangsfrage zurückgehend, brauchen wir also nicht mehr nur zu versuchen, die Existenz der ätherischen Bildekräfte zu beweisen oder zu demonstrieren. Wir brauchen nur immer wieder klare, richtige Begriffe über die Kräftewelt anstelle der von einer falsch verstandenen Mathematik erzeugten Einheitsbegriffe der heutigen Naturerkenntnis zu setzen. Es ist in die Freiheit jedes einzelnen Menschen gestellt, sich dieser oder jener zu bedienen.
Diese Betrachtung kann nicht abgeschlossen werden, ohne noch zweierlei zu berühren.
Es wäre ein grosser Irrtum, nun zu glauben, dass durch die Erkenntnis dieser Kräftewelt zum Beispiel ein tierischer oder gar ein menschlicher Organismus völlig durchschaut werden könnte. Und noch unrichtiger wäre es, wenn man glaubte, damit das Wesen eines solchen erkennen zu können. In die Tätigkeit der ätherischen Kräfte spielt bestimmend herein die der astralischen Welt. Und noch weiter die Impulse des Ich. Durch ein mehr bildhaftes Beispiel soll dieser Zusammenhang, den Rudolf Steiner an vielen Stellen geschildert hat, angedeutet werden.
Wir kommen auf einer Reise in eine Stadt und in derselben vor ein architektonisches Bauwerk. Es steht jetzt fertig vor uns, wir wissen aber, dass Handwerksleute es aufgebaut haben. Der Maurer hat mit seinen Händen Stein auf Stein, der Zimmer mann Balken an Balken gefügt. Wie sie dieses zu tun hatten, darüber wachte der Baumeister. Seine Aufgabe war, mit Hilfe der Handwerker den Plan des Baues auszuführen. Er arbeitet nicht selber, er bewacht, er leitet die Arbeit. Den schöpferischen Akt aber des Planes, des Bauwerkes hat der Architekt vollzogen. Würden wir glauben, das Werden einer Architektur ganz erkannt zu haben, wenn wir nur von den Handwerkern Kenntnis hätten? Nein, sicher nicht!, denn dazu ist noch notwendig die Erkenntnis des Baumeisters und der Schöpfertat des Architekten.
In übertragenem Sinne gilt dies auch für die Natur. Um ihre Gesetze und ihren Sinn zu erkennen, ist ein Wissen um die Bildekräfte nicht ausreichend, wir müssen aufsteigen zu der Erkenntnis der astralischen Welt und der Welt des Ich.
Um in diese Welten nun als Forscher eindringen zu können, ist eben Rudolf Steiners Geisteswissenschaft nötig. Es gilt dies sogar auch für die Welt der Kräfte. Der Weg, den wir im vorliegenden beschritten haben, konnte uns zu einer Reihe von Begriffen auf Grund unserer normalen Sinneswahrnehmungen führen. Um aber zu einer genauen Kenntnis dieses Gebietes und vor allem auch der zuletzt geschilderten zu kommen, ist es unbedingt notwendig, dass der Forscher den Weg beschreitet, den Rudolf Steiner zum Beispiel in seinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» angegeben hat. Eine wirkliche, wissenschaftliche Erweiterung unserer heutigen Naturerkenntnis ist nur möglich durch die Geisteswissenschaft.
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[Aus: Das Goetheanum, 10. Jg., Nr. 36 (6. Sept. 1931), S. 282–284]
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Eine Ergänzung
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- Ernst Marti: Über die notwendige Unterscheidung der ätherischen Bildekräfte von den Ätherkräften (Sonderdruck aus: Beiträge zu einer Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, Heft 1, Jan.–Feb. 1960) [PDF]
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Ernst Martis Nachlass ist aller Voraussicht nach verschollen. Die im Zbinden bzw. Futurum Verlag in 2. erw. Auflage erschienene und mit einer neuen Einleitung versehene Schrift «Das Ätherische – Eine Phänomenologie der Bildekräfte» ist nur bedingt empfehlenswert, u.a. da sie durch Ersteren zu Lebzeiten nicht bzw. durch Irmgard Rossmann zum Teil nach eigenem Gusto sog. fertiggestellt wurde.
Anmerkung in eigener Sache
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Für den insges. → 4. Band der «Edition Zeitschriften» im Archivverlag Agraffe (mit den «Gäa Sophia»-Reprints) ist geplant, zusätzlich folgende grundlegende Werke und antiquarisch nahezu nicht mehr vorfindlichen Standardwerke von Guenther Wachsmuth beizulegen:
- Die ätherischen Bildekräfte in Kosmos, Erde und Mensch – Ein Weg zur Erforschung des Lebendigen (Bd. I), Der kommende Tag A.-G. Verlag, Stuttgart 1924 / Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, 2. Aufl. Dornach 1926
. - Die ätherische Welt in Wissenschaft, Kunst und Religion – Vom Weg des Menschen zur Beherrschung der Bildekräfte (Bd. II), Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, Dornach 1927
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Vergleiche indes die Kritiken vor allem der Autoren Iwer Thor Lorenzen, Ehrenfried Pfeiffer und Ernst Marti hierzu.